Michael Vogtmann und Jutta Czurda in "Ich verspeise Himmel"

„Blick auf die Bühne“ heißt eine Rubrik, in der Zuschauer ganz und gar subjektiv von ihrem persönlichen Theatererlebnis berichten.

Barbara Schatz-Schmeußer besuchte am 18. Januar 2013 im Kulturforum Fürth die Vorstellung von „Ich verspeise Himmel„.
„Mit zwei Freundinnen bin ich heute Abend im Großen Saal, Kulturforum Fürth, wir sehen “Ich verspeise Himmel“, ´ne Art szenische Lyrik-Collage mit Jutta Czurda, Michael Vogtmann und Norbert Nagel, in der Regie von Werner Müller. Die Gedichte stammen von einer Polin, Wislawa Szymborska. Nie gehört, den Namen. Soll den Literaturnobelpreis erhalten haben. Ist jetzt aber schon tot. Eine Freundin, Dorothee, war bereits zweimal in der Vorstellung, so toll fand sie es. Okay. Bin ich mal gespannt.

Es wird dunkel. Zwei Wesen erscheinen hoch oben an einem Geländer und blicken auf uns herab. Sie staunen, sie kichern charmant-maliziös,sie sprechen mit nachsichtiger Ironie über – – – ja, über wen? Es geht offenbar um eine Expedition aus den himmlischen Sphären zur Erde, denn heute Abend soll eine Spezies besichtigt werden:
Der Mensch.

Nun erblüht ein Kosmos filigraner Gedankenspiele über die Bedingungenmenschlicher Existenz; über Möglichkeiten von Zufall oder Willkür des Schicksals, von verbundenen Lebenslinien über Jahrhunderte hinweg. Doch diese naiven Erdbewohner! Dumpf brüten sie vor sich hin,keinerlei Durchlässigkeit für höher schwingende Energien, für den feinstofflichen Wink des Schicksals. Eine “hartnäckige Abwesenheit“ von Achtsamkeit ist zu beklagen.  

Im Laufe ihrer Reise durch die irdischen Sphären steigert sich der sanfte Spott der beiden Himmelswesen manchmal zu fassungslosem Staunen, oder zu Zynismus. Einmal wird die Ahnung eines Abgrunds, der sich zu öffnen droht, gnädig ignoriert. Später hagelt es höhnische Hypothesen  über das Phänomen “Glückliche Liebe“. Dann wird in Sektlaune und mit bitterer Schärfe eine Ode an den Hass gefeiert. In einer späteren Etappe der Expedition folgt die kühle Beschreibung einer Anzahl von Café-Besuchern, die in wenigen Sekunden einem Terror-Anschlag zum Opfer fallen werden.

All diese Kontemplationen über unsere Existenz speisen sich aus einem philosophisch-skeptischen Blick auf die Natur des Menschen, und sie werden, von poetischer Phantasie befeuert, in vielschichtige Bilder gefasst.

Die Leistung der Regie, des gesamten Teams ist enorm. Die Leistung der Schauspieler ist enorm. Ich nehme wahr, dass sie in den 70 Minuten der Vorstellung den Text nicht nur emotional füllen, sondern ihn vor allem auch jede Sekunde in der gebotenen Präzision und Schärfe mitdenken, und das bei einem meist rasanten Sprechtempo. Ohne diese Spielweise wäre meine Konzentration wahrscheinlich bald in den kristallin geschliffenen Sprachgebilden der Szymborska verloren gegangen. Und vielleicht wäre mir nur prosaisch eingefallen, `Mist, jetzt hast du wieder die verdammten Radieschen vergessen`.

Jutta Czurda und Michael Vogtmann strahlen an diesem Abend vor Energie und Präsenz, das ist einfach faszinierend. Sie sind himmlische Brückenbauer in eine mir bis dahin unbekannte Welt. Sie verstehen es, kompakte Geistesnahrung mit lässiger Eleganz à point zu servieren.

Jutta Czurda erzählt später, sie glaube, ihr Leben würde nicht ausreichen, um die Gedichte der Szymborska auch nur annähernd auszuloten.

Und Wislawa Szymborska wurde, wie ich nachts im Programm lese,1996 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.“

(Barbara Schatz-Schmeußer)