Die IHK-Kulturstiftung der mittelfränkischen Wirtschaft vergibt den „Kulturpreis der mittelfränkischen Wirtschaft“ für hervorragende künstlerische Leistungen in der Region. Preisträger dieses Jahr ist das Community-Projekt des Stadttheaters „brückenbau„.

Die lesenswerte Laudatio bei der Preisverleihung am 19. November 2013 in den Kammerspielen des Staatstheaters Nürnberg hielt Ewald Arenz:

„Meine Damen und Herren,

im Mittelalter gab es beim Brückenbau einen schönen Brauch. Wenn die Brücke über den Fluss geschlagen war und die Gerüste abgebaut wurden, dann ging der verantwortliche Baumeister, der die Brücke geplant hatte, unter den Bogen, nahm den Hammer in die Hand und schlug eigenhändig den letzten Stützpfeiler fort. Eine schönere und effektivere Garantie gegen Pfusch am Bau kann man sich schwer vorstellen. Die Entfernung schlechter Brückenbaumeister aus dem Amt regelte sich dann sozusagen von selbst, auch wenn man in diesem Fall eine neue Brücke bauen musste. Auf jeden Fall war dafür gesorgt, dass es keinen Unschuldigen traf. Dieses System scheint in Nürnberg auch recht gut gewirkt zu haben – die Fleischbrücke etwa ist mehr als vierhundert Jahre alt und steht immer noch.

Aber hier und heute heute – und es tut mir leid, das mitten in Nürnberg sagen zu müssen – geht es um eine Brücke, die in Fürth erdacht und errichtet wurde. Eine Brücke, die eine ganze Reihe von Baumeistern hat, die an ihr arbeiteten und die – das ist wahrscheinlich das eigentlich Preiswürdige an ihr – trotz all dieser höchst eigenwilligen Baumeister seit fünf Jahren steht und dabei sogar ziemlich weite Kluften überspannt. Denn zu Beginn stand da zwar die Idee von Jutta Czurda, aus den Künsten des Theaters heraus eine Brücke zu schlagen zu den Menschen, die eben nicht so ohne Weiteres ins Theater gehen. Eine Brücke zu den Menschen, die vielleicht nicht nur dem Theater, sondern auch der Mitte der Gesellschaft fern sind. Eine Brücke schließlich, die nicht weniger wollte, als von allen begangen zu werden. Und alle ist hier nicht abstrakt zu verstehen. Alle, das hatte Jutta Czurda gleich zu Anfang klar gemacht, alle bedeutete „Alle“! Blinde. Sehende. Flüchtlinge. Alte. Junge. Deutsche. Iraner. Araber. Türken. Putzfrauen. Ärzte. Intellektuelle. Arbeiter. Männer. Frauen. Kinder. Und deshalb hörte sich dieser Plan  zunächst ungefähr so realistisch an wie der vom Baumeister Stromer vor vierhundert Jahren, die Fleischbrücke OHNE Mittelpfeiler im Fluss zu errichten und damit einen Bogen zu spannen, der damals der weiteste in ganz Europa war.

Die Idee zu einer Brücke kann jeder haben. Planen kann sie nicht jeder. Und bauen schon gar nicht. Für die Planung holte sie uns: Yvonne Swoboda für die Organisation, Michaela Domes fürs Schauspiel, Ingeborg Schilfarth für die Werkstatt Gesang, Johannes Beissel aus der Theaterpädagogik und mich für die Werkstatt Schreiben. Was für eine wunderbare Idee. Da stecken sich die Künstlerköpfe zusammen, um so eine Brücke zu bauen. Der eine will hölzerne Pfeiler. Die andere will welche aus Stein. Die dritte findet Pfeiler sowieso doof und will eine Hängebrücke. Die vierte will vor allem, dass die Brücke einfach gut aussieht und macht sich Gedanken über die Farbe. Ich will Sie hier nicht mit den Überlegungen langweilen, die wir bei unseren vielen Sitzungen im Vorlauf hatten, sondern es nur bei diesem Bild belassen. Aber, um Ihnen nur so eine  gewisse Vorstellung zu geben, welcher Art die Schwierigkeiten waren, die wir bei der Planung so hatten: Sie können sich, damit wir im Bild bleiben, etwa folgenden Dialog vorstellen.

Michaele Domes, bass erstaunt: Wie? Was meinst Du mit Rednitz, Farrnbach, Fischbach? Ich dachte, wir bauen eine Brücke über die Donau.

Ingeborg Schilfarth, ebenso erstaunt, aber zurückhaltender: Ach so. Wir bauen eine Flußbrücke. Nee, das war mir nicht klar. Ich dachte, wir gehen in die Berge und das wird eine Hängebrücke oder so.

Ich: Geht auch ein Tunnel?

Jutta Czurda, mit engelsgleicher Geduld: Das geht alles. Das kriegen wir unter einen Hut.

Es waren viele Vorstellungen abzugleichen, viele Ideen zu durchdenken, anzunehmen und zu verwerfen, aber schließlich stand da tatsächlich ein Gerüst für diese Brücke, die wir bauen würden. Das zumindest dachten wir am Anfang noch so ein bisschen. Dass wir eine Brücke bauen würden. In Wirklichkeit wurden es viele, sehr viele Brücken, und gebaut wurden sie bestimmt nicht allein von uns, sondern von ganz vielen Menschen, von denen heute nur ein Bruchteil hier sitzt.

Aber nachdem wir uns einigermaßen einig geworden waren, wie die Brückenbauwerkstätten Tanz, Gesang, Schauspiel und Schreiben denn nun aussehen sollten, wie wir diese vier Pfeiler einigermaßen neben- und miteinander setzen würden, damit sie auch alle gleichmäßig tragen würden, nachdem wir das voller Begeisterung erarbeitet hatten, fiel uns ganz am Schluss dieser vielen Besprechungen plötzlich ein, dass eine Brücke ja vor allem auch bezahlt werden muss. Womit wir bei Werner Müller, dem Intendanten des Fürther Theaters wären. Wenn er kein offenes Ohr für dieses Projekt gehabt hätte, um das die Stadt Fürth von einigen anderen Städten beneidet wird; wenn er sich nicht mit Begeisterung mit diesen Ideen auseinandergesetzt und vor allem die Räume und die ganze Infrastruktur des Theaters zur Verfügung gestellt hätte, dann hätte es kein Brückenbauprojekt gegeben.

Was ist nun das Besondere an diesem Brückenbau, dass er preiswürdig ist? Die Sache mit Brücken ist ja die, dass man, sobald eine da ist, sie so oft überschreitet, dass es ganz schnell so ist, als sei sie schon immer da gewesen. Da findet dann jeder, der sie benutzt, sie ganz selbstverständlich, denn es ist ja ganz klar, dass man hier eine Brücke braucht. Wie soll man sonst über den Fluss kommen? Aber stellen Sie sich einfach mal vor, die Fleischbrücke gäbe es nicht. Dann würde auf einmal doch etwas fehlen und man merkte sehr schnell, dass sie eben nicht selbstverständlich ist.

Das Besondere an dieser Brücke, die sich Jutta Czurda da ausgedacht hatte, ist ja, dass sie nicht nur Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft einen Weg zu den Künsten schafft, sondern dass sie dabei gleichzeitig ein Ort der Begegnung wird.

Ja. Das hört sich jetzt nach so einer Floskel an, die man bei solchen Laudationes immer gerne gebraucht, aber ich will Ihnen das ein bisschen illustrieren. Dazu noch eine kleine Geschichte vom Brückenbaumeister Stromer. Nach seinem Tode hat man in seinem Haus eine Kiste gefunden, in der ein feines, meisterhaftes und zerlegbares Holzmodell der Rialtobrücke in Venedig lag. Es existiert heute noch und Sie können es sich vom Herrn Bürgermeister mal zeigen lassen. Die Nürnberger unter Ihnen müssen jetzt aber keine Angst haben – die Fleischbrücke ist nicht abgekupfert; Stromer hat sich einfach für Brücken begeistert. Auf der Rialtobrücke ist es heute noch so, wie es auf der Fleischbrücke früher und auf der Fürther Theaterbrücke wieder ist: Da herrscht den ganzen Tag ein geschäftiges, buntes, fröhliches Treiben. Da gibt es fliegende Händler aus aller Herren Länder, da wird gefeilscht und gekauft, da sind Freizeitfotografen und ernsthafte Maler hinter ihrer Staffelei, da sitzen Punks mit ihren Hunden auf den Stufen, da begegnen sich die venezianischen Fremdenführer in einer Pause und unterhalten sich bei einer Zigarette über ihre Touristengruppen, da rennen italienische Schulkinder in Grüppchen hinüber. Kurz – diese Brücke ist ein ORT und nicht nur ein Weg. Ein Ort voller Leben.

So ist das Projekt Brückenbau auch. Auf dieser Brücke standen die vier Werkstätten Tanz, Schreiben, Schauspiel und Gesang wie bunte Buden und lockten mit ihren Angeboten nach innen. Auf dieser Brücke findet sich seit fünf Jahren ein buntes Volk jeden Montagabend zum Community Dance im Kulturforum zusammen. Auf dieser Brücke kamen zu den Brückenfesten die Menschen aus den Buden, um sich zu zeigen, was sie gelernt hatten. Da wurde gegaukelt, deklamiert, getanzt, gesungen, geweint gelacht und gegessen und auch manchmal nicht zu knapp getrunken. Diese Brücke wurde zur Bühne, als bei der Premiere der „Berichte von Unsichtbaren“ die Zuschauer zu Akteuren wurden und alle völlig natürlich zwischen Spielen und Zusehen, Singen und Zuhören, Schreiben und Lesen, Bewegen und bewegt werden ein paar Abende lang über diese Brücke flanierten.

Solche bunt flirrenden Höhepunkte gab es immer wieder. „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, dieses bewegende Generationenprojekt, von Jean Renshaw inszeniert, das aus den Werkstätten des Brückenbaus hervorgegangen ist und in dieser Spielzeit wieder aufgenommen wird, ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Aber das Schöne, und, wie ich glaube, das wirklich Preiswürdige an diesem Projekt ist doch, dass diese Brücke in den vergangenen fünf Jahren für so viele Menschen so selbstverständlich geworden ist, dass sie sie alltäglich gehen. Und bei vielen hat sich nicht nur ihr Bezug zu den Künsten des Theaters verändert, weil sie selbst Teil am Theater haben. Bei vielen hat sich durch das Projekt auch der Bezug zu anderen Menschen verändert. Die einzelnen Themen der Werkstätten, die Semesterprojekte haben immer wieder hinausgeführt zu Menschen, die man von sich aus nicht einfach aufgesucht hätte. Aus den Werkstätten heraus wurden für „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ Interviews mit alten Männern und Frauen geführt, die so viele Geschichten, so viel Erlebtes zu geben hatten, dass sich daraus mehr als ein Abend hätte gestalten lassen. Für die „Berichte von Unsichtbaren“  kamen Menschen von der anderen Seite der Gesellschaft über die Brücke und teilten ihre Geschichten mit uns. Aus diesen Projekten, aus den Werkstätten und den vielen Begegnungen, die es im Laufe der Jahre gab, sind dann auch immer wieder neue Ideen und Initiativen hervorgegangen, Querverbindungen sind entstanden, die von der Straßenkreuzer-Uni bis zur Romanwerkstatt reichen.

Kurz gesagt: Es ist eine Brücke gebaut worden, die nötig gewesen ist. Eine alltagstaugliche Brücke. Eine Brücke voller Leben.

Der Preis für die Fleischbrücke war rund 82.000 Gulden.

Der Preis für das Brückenbauprojekt, der heute verliehen wird, liegt ein bisschen darunter, aber der eigentliche Preis ist ja wohl auch der: Wenn bei diesem Brückenbau ein letzter Gerüstpfeiler wegzuschlagen wäre wie im Mittelalter, dann würde wohl keiner der Hunderte, die sie mitgebaut haben, zögern, unter die Brücke zu steigen und den Hammer in die Hand zu nehmen. Diese Brücke hält.

 

Ich danke Ihnen.