Die IHK-Kulturstiftung der mittelfränkischen Wirtschaft vergibt den „Kulturpreis der mittelfränkischen Wirtschaft“ für hervorragende künstlerische Leistungen in der Region. Preisträger dieses Jahr ist die Konzertreihe Passagen des Stadttheaters in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk – Studio Franken und dem Kulturforum Fürth.

Die lesenswerte Laudatio bei der Preisverleihung am 20. Oktober 2015 in den Kammerspielen des Staatstheaters Nürnberg hielt Matthias Boll:

„Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

ohne Holland fahren wir zur EM, aber um einen Herrn dürfen wir unser Nachbarland durchaus beneiden. Wenn Sie mal in einem Programm des Musikkabarettisten Hans Liberg waren, wissen Sie, was ich meine. Liberg saust am Flügel durch alle Stilepochen, als gäbe es kein Morgen, macht sich lustig über alles und jeden, vor allem über seinen Liebling Andre Rieu, kann wunderbar vorführen, dass die Moldau eigentlich schwer abgekupfert ist, nämlich von „Alle meine Entchen“, und was der Bolero mit Alexis Sorbas zu tun hat – und irgendwann steht er auf, geht vor ans Podium und fragt ins Publikum: Welche zeitgenössischen Komponisten mögen Sie? Belustigtes Tuscheln, Achselzucken. Einer ruft: Stockhausen (zwar auch schon tot, aber lassen wir gelten). Daraufhin Liberg mit gekünstelter Euphorie: Stockhausen, super, gern. Eilt zurück an den Flügel und fragt: Was möchten Sie hören von Stockhausen? Riesenbrüller.

Arme Avantgarde – wann hat das eigentlich angefangen, dass sie in den Fängen von Kabarettisten, Witzbolden und Hurz-Sängern gelandet ist? Oder war das nie anders? Seien wir froh, dass es die Fürther „Passagen“ gibt, seien wir froh und dankbar, dass das Kulturforum nahe der Innenstadt zeitgenössische Musik ernst nimmt ohne akademische Erstarrung; dass da ein offenes Gefäß ist für neue Töne, für unerhörte Töne, für Töne, über die seit nunmehr zehn Jahren das Publikum sagt: Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich glaube, nein: bin mir sehr sicher, das ist die Zauberformel aller Kunst, aller Kultur und macht ihr Wesen aus: Dass das Publikum sagt, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet – und dabei auch noch dreinschaut, als würde es gern wiederkommen.

40 Konzerte haben diese Passagen mittlerweile auf dem Buckel. Dass diese Reise durch Klänge und Stile aus aller Herren und Damen Länder eine Schussfahrt ins Glück werden würde – damit war anfangs nicht unbedingt zu rechnen. Im Stadttheater Fürth war die Reihe „Forum Neue Musik“, die vorsichtshalber eh nur auf der Probebühne lief, ausgelaugt und zum Fall für sehr wenige Eingeweihte geworden. Und zeitgleich stellten sie beim BR fest, dass dessen ars-nova-Reihe alt und zu erwachsen geworden war – sie war ein Kind der siebziger und achtziger Jahre. Ein Massenevent war neue Musik nie. Aber ein Ghetto-Pflegefall zum Vergessen; das sollte sie nun auch wieder nicht sein.

Im Fall der „Passagen“ haben sich ganz offensichtlich die Richtigen gesucht und gefunden: Die stets umtriebige Ursula Adamski-Störmer, Redaktionsleiterin Musik im Studio Franken, und ihr Mitarbeiter Thorsten Preuß, Kulturforum-Programmmanagerin Annette Wigger und Stadttheater-Intendant Werner Müller, einig in dem Ziel: Eine Konzertreihe jenseits des klassischen Abonnements, also vor der Pause Mozart, nach der Pause Beethoven, da geht doch noch was, oder? Ja, da geht noch was. Etwas anderes. Mehr.

Und dann passierte dies: Roby Lakatos und Tony Lakatos mixen Csardas und Bebop (so ging es los im Oktober 2006), gregorianische Gesänge treffen auf südindische Ragas, Purcell trifft Bossa Nova, Barock goes Flamenco, der italienische Klangmagier Gesualdo begegnet dem italienischen Klangmagier Giacinto Scelsi. Mit Weltstar Gidon Kremer bricht der baltische Frühling aus, das legendäre Kronos Quartett sprengt alle Kammermusikketten und hat jetzt sogar auch Fürth auf seiner Weltkarte, was nicht jeder von sich behaupten kann. Und wer vorher sagte, mit Barockmusik könne er gar nichts anfangen, dem steht noch immer der Mund offen, seit Christina Pluhars Ensemble L’Arpeggiata in der vergangenen Saison eigens für die Passagen die Instrumente auspackte und den Barockwagen im 21. Jahrhundert parkte. Lauter unerhörte Klänge. Eine Reihe, in der vieles, wenn nicht sogar alles möglich ist im Spannungsfeld von Klassik, Jazz, Folk, Volksmusik.

Und: Es funktioniert. 40 Konzerte, zu 99 Prozent ausverkauft, sprechen für sich – und das ist hier jetzt mal nicht das Argument aus der Abteilung Bildzeitung, sondern aus der Abteilung Qualität. In der ehemaligen Rinderschlachthalle, die jetzt Kulturforum heißt und Platz für 250 Mitmenschen bietet, ist richtig was los, wenn Passagen-Zeit ist. Die Fürther sind aufgeschlossener als mancher dachte. Denn es ist ja wahr: Wir alle haben die Fünfte – na, welche Fünfte wohl – von zwölf Orchestern in 17 Interpretationen gehört und freuen uns sicher wie närrisch auf die 18. Aber was gibt es denn heutzutage? Was machen Musiker des 21. Jahrhunderts zu ihrem Steckenpferd, zu ihrem Ding? In den Passagen wird das sinnlich erfahrbar. Und, um ganz nebenbei ein hässliches Wort unterzubringen: Die Reihe ist in der Metropolregion (das ist aber nicht das hässliche Wort) ein Alleinstellungsmerkmal.

Passagen, das ist eine Wundertüte, ein Treffen mit Stars jenseits stocksteifer Konzertkonventionen, ein freundlicher Austausch vielfältigster ethnologischer Klangwurzeln, ja, sie ist ein Stück Willkommenskultur für das, was sich musikalisch jenseits unserer Grenzen tut – in diesen turbulenten Zeiten, in denen wir offene Arme und offene Ohren brauchen statt Verzagtheit und vorurteilsbeladener Angstmacherei, nicht das schlechteste Zeichen, wie ich finde.

Und wie ich höre, ist der Bayerische Rundfunk, der sich mit der Übertragung aller Passagen-Konzerte einigen Lorbeer verdient hat, auch in den kommenden Jahren ebenso gern mit dabei wie Stadttheater und Kufo. Eine weise Entscheidung, zu der ich sehr gern gratuliere.“