Der Europäischen Union wurde Anfang Oktober in Oslo der Friedensnobelpreis 2012 verliehen. Diese hohe Anerkennung wurde gerade auch im Stadttheater Fürth mit Freude und Stolz registriert. Hat sich doch das Stadttheater im Frühjahr   –  also ein halbes Jahr vor der Auszeichnung – das Motto „Heimat Europa“ als Spielzeitthema für die Saison 2012/2013 auf seine Fahnen geschrieben. Der Preis kann also als Bestätigung und Ermutigung für alle Europäer angesehen werden, die europäischen Werte und ihre Wurzeln hochzuhalten und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Mit dem Ansinnen des Stadttheaters Fürth,  Europa zum Schwerpunkt der diesjährigen Spielzeit  zu erklären, liegt das Theater demnach am Puls aktueller Debatten.

Europa ist weit mehr als ein Wirtschafts- und Währungsraum; vielmehr handelt es  sich um eine Staatengemeinschaft, die seit über 60 Jahren Frieden, Wohlstand und Stabilität garantiert. Europa ist auch eine Wertegemeinschaft, die Demokratie, Rechtstaatlichkeit, freie Meinungsäußerung, Menschenrechte und politische Partizipation zu bieten hat. Vor allem aber gründet sich Europa auf eine gemeinsame Kultur. Das Erbe der Aufklärung und die Entwicklung der Wissenschaften und Künstle verbindet die Völker vom Atlantik bis zum Kaukasus, vom Polarkreis bis zum Mittelmeer.

Insofern war es eine Herzensangelegenheit, dass Intendant Werner Müller und Dramaturg Matthias Heilmann im September 2012 – also ebenfalls noch vor Bekanntgabe des Nobelpreises für die Europäische Union   –  einer Einladung der Bertelsmann Stiftung und des Auswärtigen Amtes nach Berlin Folge leisteten, um an einem Kongress über den Wert Europas teilzunehmen.

Man versammelte sich im Weltsaal des Auswärtigen Amtes. Fernsehsender arte und  Deutschlandfunk unterstützten als Medienpartner das Vorhaben und berichteten teilweise direkt aus dem Auswärtigen Amt vom Kongress.

Wir flogen um 6.30 Uhr des 18. September von Nürnberg nach Berlin, um pünktlich zur Kongressbeginn alle Sicherheitsschleusen des Ministeriums überwunden zu haben. Die Bertelsmann Stiftung hatte hochkarätige Referenten ausgesucht, die als Experten in Sachen Europa, dem Teilnehmerfeld von ca. 500 Personen Anregungen über europäische Werte  vermittelten.

Zu Beginn hielt Außenminister Guido Westerwelle als Hausherr ein Impulsreferat. Der etwas zu lang geratene Einstieg enthielt bereits einige wichtige Fakten. Europa ist ein alternder Kontinent mit einigen demografischen Problemen. Nur noch 9 % der Weltbevölkerung lebt in Europa – Tendenz fallend. Schwellenländer wie Indien und China bedrohen durchaus Europas Wohlstand. Dennoch ist das Lebensgefühl Europas mit politischer Partizipation aktueller denn je. Tendenzen der Abschottung, der Renationalisierung und des Fundamentalismus sollten entschieden zurückgewiesen werden. Europa ist und bleibt ein politisches Projekt kein wirtschaftliches. Die Zielsetzung einer politischen Union  muss beibehalten werden. Europa muss politisch mit einer Sprache sprechen. So kann Europa seinen Rang als einer der reichsten Regionen der Erde verteidigen, trotz asiatischer Konkurrenz.

Fazit dieses ersten Vortrages: trotz richtiger Inhalte gelingt es unserem Außenminister nur sehr begrenzt, mit seinem flammenden Plädoyer die Zuschauer – auch gerade die anwesende Jugend – mitzureißen und für europäische Ideale zu begeistern. Ein Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Schmidt hätte mit ähnlichen Worten das Publikum zum Toben gebracht.

Nicht weniger nüchtern, wenn auch deutlich kürzer, fielen die Eingangsworte des zweiten Gastgebers aus.  Der niederländische Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung Aart de Geus, bemängelte in seiner Rede die euroskeptische Sicht gerade in Deutschland.  Seine Stiftung hatte dazu eine Bevölkerungsumfrage durchgeführt. Die Banken- und Währungsstabilitätskrise habe zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Die Antwort könne nur lauten: mehr aktive Beteiligung der Menschen an den politischen Entscheidungen der EU. Ob er an Volksabstimmungen dachte, vielleicht sogar über eine europäische Verfassung, blieb im Unklaren.

Nach den Begrüßungsreden steuerte der Kongress auf einen der Höhepunkte zu. Der Philosoph Peter Sloterdijk und die Trägerin des Friedensnobelpreises 2003 Shirin Ebadi nahmen an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Europa als Wertegemeinschaft – Wofür stehen wir?“ teil. Während Ebadi darauf hinwies, dass Reden und Handeln in Europa beim Thema Menschenrechte nicht immer übereinstimmen, kam Sloterdijk  auf die Vorzüge des guten Europäers als Nachfahre der Errungenschaften des römischen Rechts zu sprechen. Ebadi empörte sich, dass das verbale Hochhalten der Menschenrechte unglaubwürdig wäre, wenn gleichzeitig z.B. Deutschland mit dem Iran beste Wirtschafts- und Handelsbeziehungen pflege, obwohl das dortige Regime den internationalen Terrorismus aktiv unterstütze.  – Ob Wirtschaftssanktionen in diesem Fall der bessere Weg wäre, bezweifelte allerdings bei der Diskussion Elmar Brock, Abgeordneter der EVP im Europaparlament. Sloterdijks Verdienst war es, in einer etwas unstrukturierten Diskussion europäische Identität durch griffige Begriffe anschaulich zu machen. So ist z:B. seit Jahrtausenden der Weinbau und die gesellschaftliche Akzeptanz eines kontrollierten Rausches ein identitätsstiftendes Charakteristikum Europas, das es anderswo so nicht gibt. Aber auch der Pluralismus und die Rechtsbindung gehören zum europäischen Wertekanon. Allerdings warf Sloterdijk vielen Europäern ein gerütteltes Maß an Trägheit vor. Das Zurückdrängen des Nationalstaates sei durch einen gewissen Wohlfahrtspatriotismus teuer erkauft. Europa besteht in weiten Teilen aus einem Club gedemütigter Imperien in Folge zweier Weltkriege, die zu postheroischen Wohlfahrtsmächten heruntergekommen seien. Immerhin konnte durch die Zweitidentität Europa eine  friedliche Koexistenz bewahrt werden. Leider hatte Sloterdijk zu wenig Zeit, diese provozierenden Thesen näher auszuführen.

Wie überhaupt der Kongress etwas an der Sprunghaftigkeit der Themen und der Vielzahl der Referenten litt. Natürlich durfte das Thema der gemeinsamen Währung und die aktuelle Debatte über Griechenlands Volkswirtschaft nicht fehlen. Dabei lieferte der Tag aber nichts gravierend Neues. Einig waren sich alle, dass makroökonomisch Europa besser dastünde als allgemein angenommen – besser als z.B. die Volkswirtschaft der USA.

Neben so tagesaktuellen Fragen wie z.B. die Harmonisierung der Zinssätze für Staatsanleihen, gab es allerdings noch zwei bemerkenswerte Ereignisse.

Eine Runde junger Parlamentarier aus Frankreich, Polen, Portugal und Deutschland stritt sehr leidenschaftlich über die Frage, was Europa der Jugend zu bieten habe. Insbesondere die Abgeordnete der französischen Grünen im Europaparlament Sandrine Bélier vertrat die Auffassung, dass sich Europa wandeln müsse. Nicht nur die Herausforderung des Friedens, sondern auch die Themenkomplexe Umwelt und Klima bedürfen eines neuen gemeinschaftlichen Handelns. Sie mahnte einen europäischen Konvent und eine neue europäische Verfassung an, die eine stärkere Legitimation auch durch Volksabstimmungen benötige. Ein besseres basisorientiertes demokratisches System könne auch die Akzeptanz Europas gerade bei jüngeren Mitbürgern deutlich erhöhen.

Gegen Ende besuchte noch der portugiesische Außenminister Dr. Paulo Portas den Konvent. Weil auch sein Land in den letzten Jahren in wirtschaftliche Turbulenzen geraten war, die die Stabilität des Euro gefährdeten, betonte er den Reformeifer seines Heimatlandes, der auch bereits erste Erfolge zeichnete. Auch Dr. Portas befürwortete wie sein Amtskollege Westerwelle eine Vertiefung der politischen Union in Europa. Dazu müssten nationale Kompetenzen auf Europa übertragen werden.  Mit einer gemeinsamen Politik innerhalb Europas könne auch die Herausforderung der Globalisierung besser gemeistert werden. Portugal könne z.B. Brücken nach Lateinamerika schlagen. Europa müsste, seiner Meinung nach, auch sich in Fragen des Bildungssystems  stärker verzahnen. Da in Europa weitgehend Rohstoffe fehlen, könnte ein hoher Bildungsgrad der Exportschlager des Kontinents werden.

Der ganze Tag, den die Bertelsmann Stiftung auch durch großzügige Bewirtung während und nach dem Kongress organisatorisch glänzend vorbereitet hatte, gab den Teilnehmern umfangreiche Einblicke, vor welchen Aufgaben das Europa der Zukunft stehen wird. Eine gewisse Zerrissenheit bei der Fülle der Themen gehört allerdings zu den Mankos einer solchen Veranstaltung. Zuschauerbeteiligung blieb durch den engen Zeitplan auf ein Minimum beschränkt. Eine Vertiefung mancher Referenten-Aussagen wäre wünschenswert gewesen. Die kulturellen Wurzeln Europas, die bei einem Kongress mit dem Titel „Der Wert Europas“, meiner Meinung nach, ganz wesentlich sind, berührten die Referenten – Sloterdijk ausgenommen – allenfalls marginal.

Diskussionen über Europa beflügeln mit Sicherheit die alltägliche Arbeit eines Theaters, das sich vorbehaltlos zur europäischen Kultur bekennt und die Weiterentwicklung, Vertiefung und Einigung des Kontinents mit künstlerischen Mitteln begleitet.