Nächtliche Probe in der Toscana

„Höhepunkt des heutigen 38. (von Hans Werner Henze gegründeten) Cantiere Internazionale d’Arte in Montepulciano war unbestritten die Aufführung von Detlev Glanerts Triptychon DREI WASSERSPIELE“ so schrieb Robert Quitta in „Der neue Merker“ am 30. Juli 2013.

Der Komponist der dreiteiligen Kammeroper Detlev Glanert hatte selbst als Schüler Henzes einige Jahre das Cantiere-Festival geleitet und ist jeden Sommer gern gesehener und vielgepriesener Stammgast der Festspiele, die zu den international wichtigsten Austragungsorten für zeitgenössische Musik gehören. Natürlich hatte sich gerade auch Glanert selbst dafür eingesetzt, dass sein Werk über die elementare und zerstörerische Wirkung des Wassers auch in Montepulciano als italienische Erstaufführung gezeigt wurde.

Trotz der großen Ehre, dort spielen zu dürfen, waren die Wege bis zu den Aufführungen nicht unkompliziert.
Die Koproduktion des Stadttheaters Fürth und der Hochschule für Musik Nürnberg hatte im Dezember 2012 im Kulturforum Fürth Premiere. Schon bald nach der Premiere begannen die Vorbereitungen, um die Inszenierung des jungen RegisseursGeorgios Kapoglou ein halbes Jahr später beim Festival zeigen zu können.

Eine mit dem Kulturforum vergleichbare raumbühnenähnliche Spielstätte gibt es in Montepulciano nicht. Die meisten Aufführungen finden entweder Open Air auf dem herrlichen Piazza Grande, im Renaissance-Palast Palazzo Ricci, oder aber im über 200 Jahre alten Teatro Poliziano statt. Letzten Endes entschied man sich für das Theater aus dem Jahr 1792. Dass das die richtige Wahl war, bestätigt eine Kritik aus dem Deutschlandradio. Da schreibt Elisabeth Richter: „Diese zauberhafte Miniatur-Ausgabe der Mailänder Scala mit Parkett und vier Rängen allein ist eine Reise wert. In diesem Jahr war das kleine städtische Theater für den 38. Cantiere Internazionale d’Arte idealer Ort für Detlev Glanerts Kammeroper „Drei Wasserspiele“, drei kurze Einakter nach den „Drei Minuten-Spielen“ von Thornton Wilder“.

Nun, die Idealität des Ortes war nicht von Anfang an vorhersehbar. Das komplette Parkett musste ausgebaut werden, die Zuschauer saßen ausschließlich in den Rängen. Das aufwendige Bühnenbild mit Schiffsrumpf, mehrstockiger Tribüne für Darsteller und Orchester, beweglichem Floß, Spiegelfolie und jeder Menge angeschwemmtem Strandgut musste aus Fürth nach Italien gebracht werden und dort sinnvoll und theatergerecht aufgebaut werden. Auch die aufwändige Lichttechnik einer solchen Inszenierung ist große Herausforderungen für ein so altes Theater.

Nach ausführlichen Vorbesprechungen und einem logistischen Kraftakt konnten wir dann am 25. Juli zu den Aufführungen nach Italien fahren.
Zuvor hatte ein LKW das Bühnenbild transportiert. Durch engste verwinkelte Gassen geht es steil hinauf in die Altstadt von Montepulciano. Dass der LKW den Weg durch die kleinen Straßen den Berg zum Theater erkommen hat, grenzt an an kleines Wunder. Der heutige künstlerische Festival-Leiter, der französische DirigentVincent Monteil, berichtete von einer Eskorte unter Polizeieinsatz, um vor allem parkende Autos vor der einzig möglichen Durchfahrt zum Theater zu entfernen.

Am 25. Juli abends erreichte dann auch das Team nach 13-stündiger Busfahrt von Franken Montepulciano, mitten im Gebirge, auf dem halben Weg zwischen Florenz und Rom gelegen.
Die Bühnenbildnerin Kerstin Narr war bereits zuvor aus Berlin angereist, um mit der Bühnentechnik des Cantiere den Aufbau zu koordinieren.
Für italienische Verhältnisse nicht ungewöhnlich, wurde noch in der Nacht geprobt, schließlich war ja bereits am nächsten Abend die erste Aufführung angesetzt. Probenbeginn 22.30 Uhr nach kurzem Abendessen und Einzug in die Quartiere. Die Hotels in dieser Kleinstadt verfügen alle über eine geringe Zimmerzahl, so dass Musiker, Sänger und künstlerische Leitung auf vier verschiedene Hotels verteilt wurden.

Nach so einem langen Tag verläuft eine Probe naturgemäß nicht unproblematisch. Es wurde in einer komplett anderen Raumsituation geprobt und drei von neun Sängern der Fürther Produktion standen nicht mehr zur Verfügung. Die Einweisung der neuen Sänger funktionierte angesichts dieser Umstände erstaunlich reibungslos. Sänger und Musiker setzten sich aus jungen Studenten am Anfang ihrer künstlerischen Karriere zusammen, für die das Gastspiel auch eine Art Abenteuer darstellte, bei dem Kreativität, Improvisationsgabe und eine weit überdurchschnittliche Motivation gefragt waren.
Die Oper wurde zwar in deutscher Sprache mit italienischen Übertiteln gesungen, aber eine Dialogszene zwischen dem zweiten und drittem Teil machte es notwendig, auch kurze Textpassagen in italienischer Sprache vorzuführen. Natürlich fanden bereits vor Reiseantritt Proben in der Hochschule statt.

Fast den kompletten Tag der ersten Aufführung wurde dann weiter für szenische und musikalische Proben genutzt. Für deutsche Verhältnisse sehr spät um 21.30 Uhr gab es dann die erste Aufführung, die bei den Besuchern auf großes Zuschauer- und Medienecho stieß.
Es war klar, dass bei Vorstellungsende um circa 22.45 Uhr der Abend noch lange nicht vorbei war, nach einer Premierenfeier mit Reden und Essen saßen alle Künstler mit dem Komponisten Detlev Glanert noch lange auf der benachbarten Piazza Grande. Sperrstunde und Nachtruhe sind Fremdworte dort. Austausch mit anderen Künstlern, vor allem einem jungen britischen Orchester aus Manchester, und das Aufsaugen der südlichen Atmosphäre sorgten für eine kurze Nacht.

Die Presse schrieb über „die dichte, dramatische Musik Glanerts“, die mit „überzeigender packender Kraft“ aufgeführt worden sei und lobte „rückhaltlose Einsatzfreude“ und „mimische und gesangliche Präzision“. Auch wenn „für italienische Geschmäcker“ die Inszenierung „ein wenig teutonisch-hässlich-dekonstruktivistisch“ daher kam, passte der Gesamteindruck zu den „kurios-satirischen Situationen“ des Werkes, das Grundfragen des Lebens und Sterbens behandelt.

Trotz italienischer Hitze und wenig Schlaf gelang die zweite Vorstellung am nächsten Tag man nach Aussage des Komponisten noch besser, sicherer und frei von anfänglicher Nervösität.

Es war ein Ausflug in eine andere Welt. Hitze, steinige, steil ansteigende Wege, komplett erhaltene jahrhundertealte Plätze und Paläste, Rotwein und eine Kleinstadt voller Musik ergeben eine wunderbar inspirierende Atmosphäre.
Dank Henze, der noch in den siebziger Jahren bei der Gründung des Cantiere-Festivals für zeitgenössische Musik als „kommunistischer Agitator“ von Christdemokraten beschimpft wurde, ist Montepulciano nicht nur ein touristischer alter Weinort mit Renaissance-Architektur. wie viele in Italien, sondern auch Sitz einer florierenden Europäischen Musikakademie und eines der vielfältigsten Festivals Italiens.