Tschick Reloaded

„Mir wurde schon von Klein auf eingetrichtert, dass die Welt immer nur böse ist. Aber ich glaube, das stimmt nur  zu 99 %. Und auf unserer Reise haben wir genau dieses eine andere Prozent getroffen.“ Mit diesem Satz trifft  Maik den Nagel auf den Kopf. Manches, was man in seiner Jugend gesagt und getan hat, sieht einige Jahre später,  mit mehr Lebenserfahrung betrachtet, ganz anders aus.

Im Theaterstück „Tschick“ geht es um eine Reise, die in der Vergangenheit stattgefunden hat. Die beiden Protagonisten treffen sich wieder und erinnern sich an  den wichtigsten Orten Ihres Urlaubstrips an eine Geschichte voller Verrücktheit, Zufall, Liebe, Pech und Glück.  Andrej Tschichatschow, der jugendliche Spätaussiedler aus Russland,  hat eine ungewöhnliche Freundschaft mit Maik Klingenberg, einem aus wohlhabenden,  aber zerrütteten Verhältnissen  stammenden Berliner Vorstadtkind (die Mutter ist alkoholkrank und der Vater geht fremd).  Die beiden verbringen gemeinsame,  höchst chaotische Sommerferien mit einem gestohlenen Lada.  Sie fallen von einer skurrilen Situation in die nächste, verursachen mehrere Autounfälle  und landen schließlich vor einem Jugendrichter. Kurz gesagt: Sie haben so richtig „Scheiße“ gebaut.    

Das auf der Vorlage des gleichnamigen Jugendbuchklassikers von Wolfgang Herrndorf beruhende Theaterstück spielt 15 Jahre später. Die Jugendlichen von  damals sind erwachsen geworden und lassen den Zuschauer in Rückblenden an den Highlights ihres verrückten Roadmovies teilnehmen. Zuschauer, die das Buch  gelesen haben, sind eindeutig im Vorteil gegenüber jenen, die sich erst in die Thematik des Schauspiels sowie seiner Komplexität einfinden müssen.

Die Inszenierung, unverblümt, jugendlich frisch, aber dennoch eher klassisch nach der preisgekrönten Vorlage, bietet Raum für Interpretationen seitens der  Fantasie des Konsumenten. Im Bühnenbild versteckte Raffinessen, wie die Walach-Hai oder Anselm Weil tragen zur Kurzweil bei, müssen aber von Nichtkennern  des Romans unentdeckt bleiben.

Kevin Körber überzeugt über weite Strecken als gealterter Maik Klingenberg, der den Spagat zwischen der ehemaligen jugendlichen Flippigkeit und der nun  erworbenen Lebenserfahrung meistert. Auch wenn er gerne mal über ein Dosenbier stolpert.

 Eine anregende Geschichte, die mit der Idee aufwartet, dass nicht alles, was in der Phase des noch nicht Erwachsen-Seins geschehen darf, nach vorgeformten  Mustern stattfinden sollte. Auch darüber, wie viel Mut und Übermut es braucht, um aus vorgeformten Strukturen auszubrechen, um als Individuum zu erstehen  und nicht als beiger Rentner zu enden. 

Vom Publikum wurde das Stück mit sehr positiver Resonanz aufgenommen, was sich auch in der direkt danach stattgefundenen, angeregten Fragerunde mit Schauspielern und  Regisseur,  der Landshuter Kammerspiele widerspiegelte.

Die Aufführung ist meiner Meinung nach sehr empfehlenswert, weil es Schwierigkeiten jugendlicher Außenseiter darstellt, die ihren Platz in einer Gesellschaft  suchen, welche für sie nur Desinteresse und Unverständnis bereit hält und erwartet, dass sich Ihr Erwachsen-Werden als systemkonforme Metamorphose im  Dunkeln abspielt.

Von Paul Medla, Dr. Gustav-Schickedanz-Mittelschule, Fürth, Klasse M9