Laudatio zur Verleihung des Friedrich-Baur-Preises 2012 von Bernd Noack
07 Montag Jan 2013
Geschrieben von Redaktion in Allgemein
Den Friedrich-Baur-Preis 2012 in der Kategorie „Darstellende Kunst“ hat im Stadtschloss Lichtenfels Intendant Werner Müller am Samstag 8. Dez 2012 für das Stadttheater Fürth entgegengenommen.
Die Laudatio hielt der Kulturjournalist und Theaterkritiker Bernd Noack. Hier der vollständige Text:
„Ich befinde mich gerade auf einer theatralischen Reise durch das alte Europa und über seine Grenzen hinaus. Im bulgarischen Sofia und im rumänischen Iasi, in Czernowitz in der Ukraine und in Szeged in Ungarn, im slowakischen Bratislava, im tschechischen Brünn oder in den kroatischen Städten Zagreb, Riejka und Varazdin habe ich in den letzten Monaten Theater besucht, die alle weit über hundert Jahre alt sind. Gebaut wurden sie von den beiden Wienern Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, zwei wahrhaftigen Theatermachern und perfekten Baumeistern der Illusionen: während ihrer 43jährigen Zusammenarbeit planten und realisierten sie ab 1870 bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs insgesamt 48 prunkvolle Bühnen, nahezu alle im Stil des europäischen Späthistorismus und mit einer typischen, wiedererkennbaren üppig elegant-verspielten Handschrift.
All diese Häuser der Wiener Architekten sind heute noch als Theater in Betrieb. Über ein Jahrhundert hinweg haben sie Kriege überstanden und mehr oder weniger behutsame Renovierungen; in ihnen wurde gespielt im Einklang mit den ideologischen Veränderungen oder im künstlerischen Widerspruch; in ihnen spiegelte sich der Reichtum des stolzen Bürgertums und die Normalität des Abwechslung suchenden Abonnenten: sie waren und sind Theater, die jeden Abend aufs Neue mit Kunst und Leben erfüllt werden.
Die meisten Häuser befanden sich zur Zeit ihrer Entstehung innerhalb der k.-u.-k.-Monarchie-Grenzen und sind somit heute also in Österreich und in längst souveränen osteuropäischen Staaten zu finden, einige wenige gibt es in der Schweiz und in Deutschland. Und Fürth hat auch solch ein Fellner-und Helmer-Theater, 1902 eröffnet nach nur 14monatiger Bauzeit und gekennzeichnet durch einen kühnen Stilmix aus kopierter italienischer Renaissance und Barock. Und im Grunde genommen begann meine derzeitige theatralische Reise auch hier, freilich vor vielen Jahren, als wir Schüler uns in den oberen Rängen herumdrückten. Wir sahen die Klassiker in transportablen Tournee-Inszenierungen, aber dann später doch auch etwa Bernhard Minetti, der in der legendären „Macht der Gewohnheit“-Aufführung hier aus der Rolle trat und das schwatzende Provinz-Publikum von der Rampe aus wüst beschimpfte. Mancher Besucher meinte, diese Tirade des meckernden Zirkusdirektors gehöre zum Thomas-Bernhard-Text …
Immer wieder kam ich in dieses Haus, privat, weil es gleich um die Ecke lag, beruflich als Journalist dann, weil es seit den 90er Jahren mehr und mehr zu bieten hatte, was mitunter weit über die Aufgaben eines ganz normalen Stadttheaters hinausgeht. Irgendwann sprach man sogar bundesweit anerkennend von einem „Fürther Modell“, das auf drei Säulen ruhte: Eigenproduktionen, Koproduktionen und Gastspiele gewichtiger deutschsprachiger Staats- und Stadttheater wurden klug in Spielpläne verpackt, die dem im Vergleich kleinen Haus im fränkischen Großraum und neben den Ensemble-Theatern in Nürnberg und Erlangen einen überraschenden Zulauf bescherten.
Garant dieses Erfolgs ist sicher Intendant Werner Müller – inmitten eines zwar kleinen aber phantasievollen Teams. Und es ist in Fürth eben nicht damit getan, jeden Abend den Vorhang aufgehen zu lassen, es sind heute längst die Ideen abseits eines normalen Theaterabends, die das Haus bemerkenswert – und wie man jetzt sieht auch auszeichnungswürdig – machen. In Fürth verschanzt man sich nicht hinter der Pracht-Fassade und wartet, bis die Zuschauer strömen, hier geht man seit Jahren „in die Stadt hinein“, wie das so schön heißt, um die Bürger für Theater zu begeistern oder auch mit ganz anderen künstlerischen Formen zu konfrontieren.
Fernab vom nervigen Mitmachtheater etwa werden in den „Brückenbau“-Programmen die sehr persönlichen Geschichten und Erinnerungen der Menschen in den Mittelpunkt gerückt: darüber spricht und schreibt man, darüber läßt sich aber sogar auch tanzend erzählen. „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ heißt ein Projekt, das sich generationsübergreifend mit den durchaus erfüllbaren Sehnsüchten der Teilnehmer beschäftigt: und so schenken 80- oder 18jährige dem Theater und seinen Besuchern ein Stück Lebensgeschichte, die auf der Bühne sicht- und nachvollziehbar wird. Es geht noch weiter und bis zu den aktuellen sozialen und gesellschaftlichen Problemen einer Kommune: als Schickedanz in der Ursprungs-„Stadt der Quelle“ insolvent wurde und Beschäftigte entlassen werden mußten, kamen die auf die Bühne und erzählten selber wütend und packend in einem Dokudrama von ihrem Schicksal. Und aus der pflichtschuldigen Theaterpädagogik ist längst ein Jugendensmemble erwachsen, das zwischen Klassik und Klassenzimmer mit eigenen Produktionen in die verstaubten Kulissen stürmt und drängt.
Daneben gibt es natürlich noch das gute alte Theater, aber das mitunter dann auch wieder verstörend und überraschend, provozierend und mutig auf dem Weg zu anderen und neuen künstlerischen Aus-drucksweisen. Wie die Produktion „Ich verspeise Himmel“, in der zwei Schauspieler und ein Musiker mit den wundervollen Gedichten der polnischen Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska über die Ruinen der Zeitläufte hinweg auf eine Reise an den Saum des Bewußtseins gehen. Da wird auf einmal der ganze Reichtum dieser Sprache erlebbar, da berührt das oft schmerzend Einleuchtende der Bilder. Und im Spiel zwischen Himmel und irdischer Hölle spiegelt sich das Verborgene unserer Gefühle und Ängste.
Diese Produktion – und hier schließt sich der Kreis wieder – zeigte das Fürther Theater auch im Theater der ukrainischen Stadt Czernowitz und wurde dort bejubelt. Diese beiden Häuser gleichen sich übrigens wie ein Ei dem anderen, denn sie haben die selben Baupläne – geschäftstüchtig waren die Wiener Architekten eben auch. Dennoch: es zeigt sich, dass sie vor über hundert Jahren an die 50 Mal ein Wunder vollbracht haben: sie schufen an so weit auseinanderliegenden Orten Zeiten und Widrigkeiten überdauernde Räume, in denen sich heute noch Menschen mit Kultur und somit mit sich selber auseinandersetzen – egal, ob in Karlsbad oder Temesvár, in Budapest oder Wien, in Prag, Odessa… oder eben in Fürth.“