VOLKSFEIND – WER ODER WAS?
von Margit Begiebing

Kennen Sie einen Volksfeind?
Nein, Sie doch nicht. Das dachte ich mir. Ich natürlich auch nicht, denn Volksfeinde gibt es heute kaum noch. Zumindest nicht bei uns.
In diktatorischen Regimen mag das anders sein, da mag es Volksfeinde geben, obwohl, die Definition ist schwierig. Wenn für das Volk der Diktator der Feind ist, wie ist das dann umgekehrt?
Für einen Diktator gibt es viele Feinde und Volksfeinde sind für ihn alle diejenigen, die nicht seiner Meinung sind, weil schließlich er und nur er weiß, was für das Volk das Beste ist.
Und hier bei uns…?
Bei uns fängt es schon mal damit an, dass es gar kein mehr „Volk“ gibt, sondern nur  noch Individualisten. Die sind sich zwar oftmals gegenseitig feind, weil jeder nur seine eigene selig machende Wahrheit gelten lässt, aber deswegen sind wir noch lange kein Volk von Volksfeinden.
Und unsere Politiker? Nun, die lieben ihr Volk, es hat sie schließlich gewählt und sie haben in ihrem Amtseid geschworen, alles zu tun, um Schaden vom Volk abzuwenden. Und das tun sie. Unermüdlich. Dass für sie selbst dabei der eine oder andere gut dotierte Vorstandsposten abfällt, der eine oder andere Teppich mit einer Bundeswehrmaschine aus Afghanistan eingeflogen wird, das eine oder andere Bankett nicht zu umgehen ist, das ist eben so. Das macht einen Politiker doch noch lange nicht zum Volksfeind. Oder?
Die Banker? Nein, Banker tun alles für ihre Kunden. Sie mühen sich tagtäglich ab, um ihr gieriges Klientel zufriedenzustellen. Kann man sie deshalb selbst gierig heißen? Dass sie für das Wohl ihrer Kunden schon mal den einen oder anderen Koffer voll mit Geld ins Ausland schaffen, die eine oder andere Bilanz fälschen, die eine oder andere Million, die sowieso übrig ist, in die eigene Tasche stecken, das ist eben so. Die Bezeichnung Volksfeind ist da bestimmt nicht angebracht. Oder?
Und die Manager? Nein. Manager haben einen so eindeutigen, hohen Führungsauftrag, dass sie niemals etwas Unternehmensfeindliches auch nur als Plan ins Auge fassen würden. Tag und Nacht haben sie nichts als das Wohl ihres Konzerns im Blick. Dass für sie selbst dabei ein Gehalt mit vielen Nullen herausspringen muss, das ist unter diesen Umständen nur legitim. Und dass die eine oder andere beim Personal unpopuläre Entscheidung getroffen werden muss, um die eine oder andere Bonuszahlung auf’s eigene Schweizer Konto transferieren zu können, damit das eine oder andere Feriendomizil in einer besonders netten Gegend dieser Welt finanziert werden kann, das kann doch wohl niemand einem Manager neiden, der tagtäglich 24 Stunden für seinen Konzern im Einsatz ist. Oder?
Und wir, das Volk von Individualisten, können wir uns selbst zum Feind werden? Wir halten still, wursteln uns durch und hoffen, dass alles glatt läuft und wir nicht von den Politikern, Bankern oder Managern um unser Aus- und Einkommen gebracht werden. Denn soviel ist klar, in Ausweglosigkeit gefangen, könnte der Eine oder Andere, der zufällig eine Waffe in seiner Nachttischschublade findet, schon zum Volksfeind werden.

Margit Begiebing wurde 1951 in Ansbach geboren und lebt seit vielen Jahren in Langenzenn. Sie führt Regie beim Theater Brotkäfer in Erlangen und schreibt seit mehreren Jahren mit einigem Erfolg. Sie hat zwei Romane veröffentlicht, sowie mehrere Geschichten in den Weihnachtsantholgien des Rowohlt Verlags. Außerdem ist sie Mitglied im Autorenverband Franken und der Schreibwerkstatt Wendelstein. Zu Lesungen wird sie begleitet von ihrem Ehemann und dem Literatur-Hund, einer Rottweilerhündin, die eigentlich Ragna heißt.